Fragt man einen halbwegs Eingeweihten nach der Herkunft des Hangs, hält er es für gewöhnlich mit der Werbung: “Wer hat’s erfunden?” “Die Schweizer!” Wird aber diese prosaische Antwort der einzigartigen Ausstrahlung, dem erdhalligen Sound des konvexen Klangkörpers gerecht?
Eine historische Dimension eröffnete Lukas Vogelsang, der die Ursprünge des Hangs bis zu den Sarazenen zurückverfolgte und zu spanischen Waffenschmieden, die ihre glutheißen Schwerter in Pferdeurin härteten. Aber gibt es auch Deutungen der Existenz des Hangs jenseits eines solchen im Grunde technologischen Erklärungsansatzes?
In der Öffentlichkeit wird das Hang am häufigsten mit einem Wok oder einem UFO verglichen. Diese Vergleiche mögen manch unkundigem Fernstehenden vielleicht einleuchten, erscheinen für meinen Geschmack allerdings etwas abseitig. Denkt etwa irgendjemand beim Anblick eines Hangs wirklich an Pekingente auf Chop Sue in Glutamatsoße? Oder sieht jemand im Geiste Stefan Raab in einem mit kreischender Brutalität grausam halbierten Hang die eisglatte Bob-Bahn hinab dem herbeigefieberten Sieg der selbsternannten Wok-Weltmeisterschaft eines deutschen Privatsenders entgegenschliddern? Ganz zu schweigen von den Assoziationen, die ballonförmig aufgedunsene Flugscheiben in schwarzweißen B-Movies der 1950er Jahre hinterlassen, mit denen CIA und Pentagon den Ost-West-Antagonismus der damaligen Zeit im Sinne primitiven Freund-Feind-Denkens zu deuten versuchten, um die Bevölkerung der westlichen Hemisphäre von den Vorzügen der angestrebten atomaren Hochrüstung zu überzeugen. Und wie wirklichkeitsnah erscheint die Vorstellung, durch die Resonanzöffnung eines Hangs in die Innereien dieses extraterristischen Flugkörpers hineingesaugt zu werden, um nach einer Entführung in die unendlichen Weiten des Weltraums als Objekt biologischer Experimente und Züchtungsversuche zu dienen?
Verlassen wir die Welt fruchtlosen Bemühens, der Natur des Hangs durch ungeeignete Vergleiche aus Küchentechnologie und Science Fiction beizukommen. Seien wir ehrlich! Denkt nicht jedermann beim Anblick eines Hangs als allererstes an eine Riesentitte, die in mythologischer Vorzeit einer Göttin abhandengekommen sein muss? Ist es nicht ausschließlich dem Mangel an sozialer Erwünschtheit geschuldet, dass dies nicht ein jeder beim Erstkontakt mit dem “Musikinstrument des 21. Jahrhunderts” laut herausschreit? Tritt uns beim Blick auf die Rundungen und Wölbungen des Hangs nicht eindrucksvoll die Synthese germanischer Fruchtbarkeitsgottheiten und stolzer Amazonenkriegerinnen der griechischen Mythologie vor Augen? Waren es nicht die Wikinger, die das zur Erde herabgefallene göttliche Körperteil jahrhundertelang als Schild verwendeten und so ein unübersehbares matriarchalisches Symbol ins Zeitalter des Patriarchats hinüberretteten?
Ob Berner Steelpan-Experten vor Jahren in einem verschlafenen dänischen Heimatmuseum eine Eingebung hatten, ist eine Überlegung, die naheliegen mag, aber ins Reich der Spekulationen gehört und uns daher nicht zusteht. Allerdings ist der üblicherweise kolportierte Verweis auf Steelpan, Gatham, Gong und Singende Säge als hinreichende Begründung der Gestalt- und Klangeigenschaften des Hangs unbefriedigend und hinterlässt eine emotionale Lücke, die der Erklärung harrt.
Ein weiterer Hinweis auf den weiblichen Ursprung des Hangs ist in der Beharrlichkeit zu sehen, mit der einige eidgenössische Hangspielerinnen und Hangspieler unbeeindruckt von der offiziellen Sprachregelung der Firma PANArt ihrem Instrument ein weibliches Geschlecht verpassen und liebevoll von “ihrer Hang ” sprechen.
Linguisten weisen zur Begründung dieses Umstands gern darauf hin, dass im Berner Dialekt “Hang” Hand bedeute. Daher sei die Benennung “das Hang” für einen des Bernerischen mächtigen Schweizer etwa so wie für einen Hannoveraner die Aufforderung, von “dem Hand” zu sprechen. Dass sich ihm dabei Trommelfelle und Gaumenzäpfchen kräuselten – so die Argumentation – sei doch evident.
Dieser Begründungszusammenhang greift jedoch zu kurz. Forderte man den argumentativ herbeibemühten Hannoveraner auf zu formulieren, was er mit dem “Hand” (hannoveranisch für “Hang”) tue, so würde er antworten: “Ich schlage das Hand mit der Hand.” Nach der oben skizzierten Linguistenlogik müsste er allerdings die folgende Formulierung vorziehen: “Ich schlage die Hand mit der Hand.” Hier wird offenkundig, dass die rein linguistische Begründung des Unbehagens mit dem Geschlecht des Hangs nicht zielführend ist: Während der erste Satz das Gemeinte auf den Punkt – um nicht zu sagen: auf den Ding – trifft, erinnert der zweite doch eher an die Prügelpädagogik eines Schulmeisters aus dem 19. Jahrhundert als an einen Akt künstlerischen Musikschaffens.
Nein, die Affinität zum Weiblichen beim Gebrauch des Hangs – oder der Hang – entspringt einer wahrnehmbaren Qualität dieses klingenden Bauches (auch das eine Metapher, die uns eher auf eine lebendige Körperlichkeit als auf ein totes Küchengerät verweist). Wer schon einmal ein(e) Hang auf seinem Schoß und unter seinen Händen hatte, dem wird dies unmittelbar einleuchten. Die Spielarten unserer Hände auf dem nur vordergründig metallenen Klangkörper reichen von meditativer Ruhe bis zu heißen Rhythmen, von verträumter Sinnlichkeit bis zu heftiger Leidenschaft, vom Blümchensex bis zu SM-Praktiken. Diese Assoziationen mögen zwar weniger political correct sein als das Schwelgen in den Finessen handwerklicher Stahlblechbearbeitung. Für sie spricht jedoch der Umstand, dass sie sich beim Spiel auf dem Hang zwanglos einstellen.